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Tag 5: Beinglas Farm - Crianlarich

  • Autorenbild: Lena Stabel
    Lena Stabel
  • 24. Jan.
  • 6 Min. Lesezeit
Der Morgen danach und weitere Fehler

Am Morgen erwachten wir vom Geräusch des strömenden Regens. Als ich das Zelt verließ, sah ich durch einen kurzen Blick hinüber zu den nervenden Nachbarinnen, dass diese ihre Schuhe über Nacht draußen vorm Zelt gelassen hatten. Die konnten sie heute wohl als Fußbad benutzen. Eigentlich wollten wir ja im Pub frühstücken, aber wir hatten auch ein wenig verschlafen und mussten im Shop am Campingplatz noch ein paar Sachen einkaufen. Wir hatten eigentlich gar keine Lust, das Zelt im Regen einzupacken, aber ein Ende war erstmal nicht in Sicht... Also dann.... wetterfest eingepackt gingen wir unseres Weges. Mesut und der Bärtige waren wohl frühzeitig losgezogen und daher sahen wir sie auch erstmal nicht. Nach ca. 1-2 km hörte der Regen auf und wir beschlossen, die Regenhosen auszuziehen, weil es uns viel zu warm war. Das war ein Fehler. Bald fing es wieder an und trotzdem ließen wir die Hosen aus. Die Zip-Hosen sind schließlich auch imprägniert. Logisch! Aber halt nicht für strömenden Regen. Dazu jedoch gleich mehr. 

Bei den Wasserfällen, die fast so spektakulär waren, wie im Reiseführer angepriesen, kamen wir an eine Brücke, die von der Flut weggerissen worden war. Ein Umweg übers matschige Feld war angesagt. Dort befand sich eine (noch) intakte Alternativbrücke. Die 200 Meter Umweg kamen uns vor wie mindestens 600, denn der Weg war wirklich beschwerlich. Auch die Alternativbrücke zeigte bereits Spuren des teilweise heftigen Wetters. Und als ob das nicht Mahnmal genug gewesen wäre, fing es immer stärker an zu regnen. Und noch immer hatten wir keine Regenhosen an... was haben wir uns nur dabei gedacht? Wir hatten einfach die Grenze verpasst, wo ein Wechsel noch möglich und sinnvoll gewesen wäre. jedenfalls wurden die Hosen immer nasser und nasser. Der Weg führte uns etwas den Berg hinauf und da kamen uns auf einmal Mesut und der Bärtige entgegen. Mein erster Gedanke: "Ha! Hatte ihnen das frühe Aufstehen auch nicht viel genützt!" Aber weit gefehlt...

Anders als geplant...

Die beiden erklärten uns, dass die Brücke weiter oben auch zerstört sei und es keine Alternativroute gebe. Meine Hosen waren mittlerweile echt nass. jetzt spielte es auch keine Rolle mehr. Fuck off. Der Bärtige zeigte auf eine Brücke weiter unten und erklärte, dass man über die wahrscheinlich weiterkommt. Dann wurde meine Aufmerksamkeit auf ein Schäfchen gelenkt, das neben dem Weg im Regen am Hang lag und zuckte. Es lebte noch, aber eine offensichtliche Schusswunde am Bauch zeigte, dass jegliche Hoffnung vergebens war. Glücklicherweise war der Ranger bereits informiert. In den Highlands kommt es wohl immer wieder vor, dass jemand sich einen Spaß daraus macht, auf Schafe zu schießen. Für sowas habe ich wirklich kein Verständnis. Ich versuchte, mir nicht zu viele Gedanken darüber zu machen. Schnell wandte ich meinen Blick ab, bevor mein Gehirn vollständig realisieren konnte, was da gerade vor sich ging und ich konzentrierte mich darauf, den anderen zu folgen. Zum Glück waren die Schuhe wenigstens wasserdicht... Stetig kämpften wir uns voran. Ein gutes Stück ging es eine Schnellstraße entlang, bis der Bärtige uns mithilfe des GPS-Kartenmaterials wieder zurück auf den WHW leitete. Von da an ließen wir sie wieder ziehen, wir hatten nicht unbedingt Lust, uns anderen anzuschließen oder schneller zu laufen. Bei einer zweiminütigen Pause überholten uns die Pfadfinder vom Campingplatz. Die hatten teilweise sogar kurze Hosen an und waren damit noch wesentlich schlechter ausgerüstet als wir...

Verschnaufpause - und dann?

In einem Tunnel, der glücklicherweise noch ganz trocken war, nutzten wir dann die Gelegenheit und zogen uns trockene Sachen und die Regenhosen an. Zwei Briten liefen an uns vorbei und die Frau meinte: "Oh, two smart young ladies here." Jaaaa... ziemlich smart sogar. Wir hätten ja auch von Anfang an die gescheiten Klamotten anziehen können... Wir aßen dort aber auch gleich eine Kleinigkeit und schmiedeten einen ausgefuchsten Plan für den weiteren Verlauf des Tages. Bisher waren wir es gewohnt, dass der Regen irgendwann nachließ und die Sonne sich wieder zeigte. Heute war jedoch kein Ende in Sicht. Daher beschlossen wir, den Weg nach Crianlarich einzuschlagen, welches als Ort mit zahlreichen Übernachtungsmöglichkeiten angepriesen wurde (zumindest in unserer Erinnerung), um dort nach einem Unterschlupf für die kommende Nacht zu suchen und gleichzeitig nach einer Möglichkeit, unsere Kleidung zu trocknen und unsere geschundenen Körper aufzuwärmen. Annes Sachen waren komplett durchnässt, das Zelt war innen komplett nass und auch unsere Schlafsäcke hatten einiges abbekommen. 

Auf nach Crianlarich

Beim Abstieg nach Crianlarich kam uns ein Mann mit seinem Sohn entgegen. Beide zählten zur Gattung der Rucksacklosen und waren uns bereits früher am Tag aufgefallen. Doch nicht etwa aufgrund ihrer flotten Gangart oder ihrer sanften Weise, sich durch den Regen zu winden... nein! Sondern weil der Vater den gesamten Weg in Sandalen zu bewältigen schien. Wir wünschten ihm Erfrierungen so stark, dass seine Zehen schwarz sein und amputiert werden müssten, sodass er den Rest auf Stümpfen laufen müsste. Aber etwas mussten wir ihm lassen: Nasse Socken hatte er keine. Also vielleicht doch nicht so doof. Direkt am Ortseingang befand sich auch schon das Youth Hostel. Leider stellte sich recht schnell heraus, dass es dort keinen Platz mehr für uns gab. Total ausgebucht. Der Betreiber zeigte sich jedoch empathisch und - wie fast alle Schotten - hilfsbereit und überaus freundlich. Er bot uns einen Sitzplatz an und dass wir doch unsere Rucksäcke abstellen mögen. Außerdem suchte er uns im Internet 5 Telefonnummern von Hostels / Hotels in Crianlarich und Tyndrum (dem nächsten Ort, auf dem WHW ca. 10 km entfernt) heraus, damit wir dort anrufen und nach einem Platz fragen konnten. Wir erreichten jedoch niemanden und nutzten dann das hauseigene WiFi, um über das Internet vielleicht etwas zu finden. Während wir suchten und der Betreiber uns half, diskutierten die übrigen Gäste, die sich im Aufenthaltsraum befanden, übers Wildcampen und beschwerten sich über die fehlenden Duschmöglichkeiten. Anne und ich grinsten uns an. Wir dachten beide das selbe. Wenn die uns noch vor unserer gestrigen Dusche gerochen hätten, wären sie wahrscheinlich vor Schreck aus ihren Jack Wolfskin- Jacken gekippt. Tja, am West-Highland-Way kann man sich halt keine Pool-Liege mit Handtuch reservieren. Aber dann wieder nach Hause kommen und Gabi und Günther erzählen, welch abenteuerliche Zeit sie in Schottland verbracht haben. In der Wildnis. 

Rettung in Sicht?

Nach langer Zeit intensiver Suche fanden wir ein einziges Hotel, welches genau ein Zimmer frei hatte in Crianlarich. 120 Euro... eigentlich wollten wir nicht so viel dafür ausgeben, aber das war wirklich unsere einzige Möglichkeit. Das Zelt war ja klatschnass und ab Crianlarich konnten wir dann immerhin morgen den Bus nach Tyndrum nehmen, um unser tägliches Lauf-Muss von ca. 20 km aufrechtzuerhalten. Also bissen wir in den sauren Apfel und buchten. Glücklicherweise war das Hotel auch nicht weit entfernt und wir konnten direkt aufs Zimmer. Dieses missbrauchten wir dann als Trockenkammer und betrachteten zum ersten Mal das wahre Ausmaß des Regengusses. Anne hatte ihre Sachen nicht noch einmal in Plastiktüten eingepackt. Daher waren wirklich ALLE Kleidungsstücke komplett durchnässt. Wir spannten eine Kordel quer durch das Zimmer. So sollte bis morgen früh eigentlich alles trocken sein. Dann kochten wir uns erstmal einen Tee mit dem Wasserkocher, der sich im Zimmer befand. Dieses war übrigens etwas in die Jahre gekommen und sein Geld wirklich absolut nicht wert. Moderne Ausstattung geht anders und die Toilette befand sich quasi im Kleiderschrank... Aber Hauptsache trocken und keine Erkältung. Schließlich wollten wir auch den Rest des WHW noch laufen. 

Als der Regen etwas nachgelassen hatte, gingen wir in den nahegelegenen Supermarkt und kauften Essen, Wasser, Postkarten und Briefmarken. Die Verkäuferin war überaus begeistert darüber, dass Anne bar bezahlte: "Oh, that's lovely, thank you my dear."

Nun waren wir bestens ausgestattet, konnten nochmal duschen gehen und einen ruhigen Abend genießen. Im Hotel wollten wir dann den morgigen Tag planen und wie weit wir insgesamt noch zu gehen hatten.

Rechnen wie in der Grundschule

Dabei fiel uns auf, dass wir schon viel weiter waren als gedacht und dass wir scheinbar einen Tag weniger berechnet hatten, als uns eigentlich zur Verfügung stand .... der Fehler um die eins... verflixt. Vom 5.-15.8. waren es 11 und nicht 10 Tage. Wir Idioten. Wir rechneten noch 100 Mal nach, aber es stimmte. Wir waren unsagbar glücklich, denn das bedeutete, dass wir uns nicht mehr jeden Tag mit 20 km plagen mussten. Wir hatten es geschafft, aber es war schon echt anstrengend gewesen und brachte ziemliche Fußschmerzen mit sich. Ein lautes "Juchhe" glitt aus unseren Mündern und ein Engelschor sang Hallelujah. 

Das Zelt, welches wir zwischen einer Lampe und der Schranktür zum bad aufgespannt hatten, hinterließ während wir jubelten und lobpreisten einen großen Wasserfleck auf dem 40 Jahre alten Teppichboden. War uns egal. Wir waren einfach nur happy. Und was dreckig wurde, reinigten wir mit den weißen Handtüchern des Hotels. Für 120 Euro musste das drin sein. Auch das Essen im Bett und dass wir alles vollkrümelten. Egal. Und dann war Schlafenszeit!



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